Donnerstag, 9. Juni 2011

Lektion am Langtang - Rückweg

Früh am Morgen treffe ich den kleinen Sohn unseres Gastgebers. Er steht in der Tür und schaut mir beim Zähneputzen zu. Dann pinkelt er direkt vor den Eingang, dreht sich wieder um und schließt die Tür. Verstehe nun was sie mit "open toilet" meinten und nehme mit den anderen mein Frühstück ein.

Wozu in die Ferne schweifen wenn das Gute ist so nah...?!

Klein, aber urgemütlich: Unsere letzte Lodge auf dem Rückweg.
Auch heute marschieren wir relativ zügig und mit nur wenigen Pausen das Tal hinab. Dabei erweist sich die Tatsache, dass wir auf dem Hinweg quasi schon jeden Meter abgelichtet haben, als sehr zeitsparend. Bei der heißen Quelle legen wir eine kurze Mittagspause ein und beschließen auch noch das letzte Stück bis Syabrubesi zurückzulegen.

Die letzten Stunden in ruhiger Umgebung...
Als wir dort ankommen ist es schon dunkel. Wir schaffen es jedoch einen Fahrer zu überreden uns am nächsten Morgen in seinem Transportjeep mitzunehmen und somit einer zweiten unbequemen Busfahrt aus dem Wege zu gehen.

Schön wieder auf der Straße zu sein!

Naja, immerhin waren wir drinnen und hatten einen Sitzplatz...

Rote Erde und saftiges Grün auf den umliegenden Feldern.

Trocknen des geernteten Getreides auf der Straße.

Wer hätte das gedacht: Fischzucht am Berghang!
Abgesehen davon, dass ich diesmal auch aus dem Fenster sehen kann, ist die Fahrt im Jeep um einiges bequemer und auch noch 2-3 Stunden kürzer. Somit erreichen wir bereits am frühen Nachmittag relativ entspannt Kathmandu, wo wir die Fahrt mit Shopping, gutem Essen und neuen Zukunftsplänen ausklingen lassen.

Mittags israelische Köstlichkeiten bei Or2k...

... und abends Abschlussgelage im UTSE!
Uns ist völlig klar, dass wir noch (mindestens) einmal herkommen müssen, um den Trek zu wiederholen und freuen uns schon jetzt riesig darauf. Auch wenn es dieses Jahr nicht geklappt hat mit dem Gipfel, war es immerhin eine kleine Lektion in Sachen Bergsteigen. Ich bin froh in diesem Bereich etwas dazugelernt zu haben und hoffe, dass es dann beim nächsten mal heißt "Auf dem Tsergo Ri"...

(seufz)

Anyway - We'll be back!

Lektion am Langtang - Tag 5

Wie erwartet gönnt uns die Aufregung nicht viel Ruhe. Aber da ist noch etwas anderes, was uns am Schlafen hindert. Wind ist aufgekommen. Ich versuche mir einzureden, dass Wind alleine ja niemanden am Bergsteigen hindert, aber das gelegentliche Klatschen an der Fensterscheibe verunsichert mich. Als ich nachts aufstehe um aufs Klo zu gehen wird die Befürchtung zur Gewissheit - es schneit und zwar ordentlich! Auf den nassen Holzplanken wird der Klogang zur Rutschpartie und ich frage mich wie wir auf den Gipfel kommen sollen, wenn ich es noch nicht einmal bis zum Klo schaffe!? Als um 5:30 der Wecker klingelt hat der Schneefall aufgehört, aber das Bild, das sich mir bietet, lässt mich vor Enttäuschung fast verzweifeln: Weiß soweit das Auge reicht und tiefhängende Wolken, die die umliegende Bergwelt komplett verschlucken.

Trübe Aussichten am Morgen.. : (

Unsere Lodge vor dem (nicht zu sehenden) Langtang.
Gut nur, dass wir nicht zum Jammern, sondern zum Wandern hergekommen sind! Nachdem wir eine gute Dreiviertelstunde unruhig hin- und hergetigert sind, beginnen sich die Wolken langsam zu lichten und wir fassen wieder Hoffnung. Wenn nur der ganze Schnee nicht wäre! Doch auch da kommt uns das Glück zu Hilfe. Am Rande der Siedlung treffe ich zwei Koreaner mit nepalesischem Führer, die sich von den Wetterbedingungen nicht im Geringsten beeindruckt zeigen. Nachdem sie erklärt haben, sie würden "heute mal den Tsergo Ri besteigen", gibt es für mich kein Halten mehr. Laufe schnell zurück um den anderen beiden Bescheid zu geben. Per fühlt sich leider immer noch nicht fit genug für solch eine Unternehmung, erklärt sich aber bereit in Kyanjin Gompa auf uns zu warten. So kommt es, dass Nina und ich erst gegen 6:30 den Koreanern hinterhereilen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben...

Per allein zu Haus.
Bald stellt sich heraus, dass der Guide nur von dem älteren der beiden Koreaner angeworben wurde, welchen ich schon auf gut 50 schätzen würde. Er fällt schnell hinter dem deutlich jüngeren Landsmann und seinem Guide zurück, was letzteren jedoch nicht zu stören scheint. Dieser trägt im Übrigen außer einem Radio nichts mit sich und ich frage mich ob er sich die nächsten 5 h von Schnee ernähren will. Nachdem.. wir am Fuß des Berges schließlich auf Rufweite zur Gruppe aufgeschlossen haben, beginnt das Vertrauen in ihre Führungskompetenz weiter zu schrumpfen. Frenetische Kommentare wie "JUUHUU! Jeder Schritt ein Rekord! GO!GO!GO!!!" und "Gar nicht auf unsere [Serpentinen-] Spur achten, einfach geradeaus hoch laufen! YEAH!" lassen uns zweifeln, ob wir da dem richtigen folgen. Das Problem ist, mit mehreren Zentimetern Neuschnee und unbekannter Route scheint ein Guide die einzige Möglichkeit sich eine Chance auf den Gipfel zu bewahren. Erst als wir zum ersten Aussichtspunkt kommen und bei traumhafter Aussicht eine kleine Frühstückspause einlegen (Chapati mit rischte jut Yakkäse druff! Die optimale Bergsteigernahrung halt...), sind unsere Sorgen für einen Moment vergessen. Die aufgestaute Sehnsucht der letzten Tage nach Bergen und Gipfeln bahnt sich ihren Weg und wir baden in einem Meer aus Weiß und Blau und können uns gar nicht satt sehen.

Das Kimchi-Team am ersten Aussichtspunkt.

Picknick auf ca. 4100 m (zum Vergrößern klicken).

Unsere koreanischen Gefährten am Grat des Tsergo Ri.

... und wir hinterher!
Die nächste Entscheidung des Guides bringt alle Bedenken wieder zurück auf den Plan. Da der übliche Weg den Grat entlang durch den Schnee angeblich zu rutschig ist, führt er uns auf die offene Flanke des Berges. Von nun an geht es ohne Weg schnurgerade und mit deftiger Steigung nach oben. Es ist das bekloppteste was ich je in meinem Leben gemacht habe! während einem die Sonne auf den Schädel knallt kämpfen wir uns mehr rutschend als steigend den Berg hoch. Abgesehen von der schieren Anstrengung ist das nicht ganz ungefährlich. Unter der schmelzenden Schneeschicht liegen immer wieder ausgedehnte Geröllfelder, die sich beim ersten Betreten bereitwillig in Bewegung setzen und einen ständig besorgt nach oben blicken lassen.

Alles Gute kommt von oben...
Ohne mir dessen im Vorhinein bewusst gewesen zu sein, haben wir die Grenze vom Wandern zum alpinen Bergsteigen überschritten. Wir sind nun auf gut 4300 m Höhe und ich registriere die Auswirkungen mit Unbehagen. Anzeichen von Höhenkrankheit bleiben zwar aus, aber allein die Erschöpfung zwingt mich alle 3-5 Schritte zu pausieren und tief Luft zu holen. Das Blut hämmert einem im Kopf wie nach einem 100m-Lauf und mein Trinkwasser nähert sich langsam aber sicher dem Gefrierpunkt. Die zwei Paar Socken an meinen Händen entpuppen sich (wer hätte das gedacht?) als unpraktisch und ich beschließe sie wegzulassen. Immer häufiger ziehen nun Wolken auf und mein Temperaturempfinden schwankt ständig zwischen "Sauna" und "Eisfach". Abgesehen davon, dass dadurch wieder mehr und mehr Berggipfel im Dunst verschwinden, mache ich mir auch zunehmend Gedanken über die Lage des Wetters. Als ich mich diesbezüglich jedoch an unsen Guide wende, winkt der nur ab. Während hinter uns geräuschvoll Lawinen ins Tal donnern und der Himmel sich von Blau zu Dunkelgrau verwandelt, meint er ich solle mir mal keine Sorgen machen, dreht sein Radio auf volle Lautstärke und beginnt am Steilhang zu tanzen...

Langsam aber sicher verschwindet die Bergwelt im Dunst... (zum Vergrößern klicken)

...und das, wo Ninas Aussicht ohnehin schon stark beschränkt ist!

Das hier entspricht definitiv nicht mehr meiner "Wohlfühl-Steigung"!
Wenig später entscheiden sich sein Client und Nina umzudrehen und erstaunlicherweise macht er sich ebenfalls auf den Rückweg um sie zu begleiten. Damit befinde ich mich nun, zusammen mit dem anderen (nicht weniger unerfahrenen) Koreaner, an der Spitze einer Verfolgergruppe von Franzosen, deren Guide sich - aus mir unerklärlichen Gründen - dazu entschlossen hat uns zu folgen. Hin- und hergerissen zwischen Ehrgeiz und Sicherheitsbedenken steigen wir mühselig weiter, immer in der Hoffnung, wenigstens einen Blick nach Tibet auf der anderen Seite des Berges werfen zu können. Doch es folgt Kamm auf Kamm und die Zeit schreitet rasch voran. Je näher wir dem Gipfel kommen, desto häufiger verschwindet er im Dunst der Wolken und ebenso meine Hoffnungen auf eine schöne Aussicht.

Immerhin schon in Sichtweite: Gebetsfähnchen auf dem Gipfel...

Aber schon kurz darauf sah es oben so aus! : (
Als mir bewusst wird, dass ich im Begriff bin zugunsten einer Gipfelbesteigung alle meine Sicherheitsbedenken beiseite zu wischen, entscheide ich mich ebenfalls das Vorhaben "Tsergo Ri" abzubrechen. Obwohl ich bereits die Gebetsfahnen auf dem Gipfel erkennen kann, bin ich immer noch gut 100-200 Höhenmeter davon entfernt (4900 m). Darüber hinaus wirken dunklen Wolken zu bedrohlich auf mich, vor allem angesichts des noch bevorstehenden Abstiegs (ca. 2-3 h). Wünschte ich hätte ein bisschen mehr Ahnung von Wetterkunde und beschließe zum x-ten mal beim nächsten mal besser vorbereitet zu sein (einschließlich einer richtigen Mütze und Handschuhen, vernünftigem Proviant, einem Höhenmesser, einer Karte - unsere hatte ich gleich am ersten Tag irgendwo auf dem Weg verbaselt - ein bisschen Plan von der Route, ausreichend Zeit und noch so einigem mehr). Bin unglaublich enttäuscht. Wenn man sich schon drei Stunden lang den Berg hochgekämpft und noch Luft hat, packt einen einfach das Gipfelfieber und man würde alles tun um sein Ziel zu erreichen. Das hilft einem auf der einen Seite durchzuhalten, auf der anderen Seite riskiert man sich oder sogar andere in größere Schwierigkeiten zu manövrieren.

Ein letzter Blick von oben (zum Vergrößern klicken).
Nach ein paar letzten Photos verabschiede ich mich also gegen 10:20 von den Franzosen und beginne, zusammen mit dem Koreaner, den Abstieg. Wir haben uns entschieden über die eigentliche Route am Grat abzusteigen, doch die entpuppt sich schon bald als nicht weniger gefährliches Geröllfeld. Der Schnee hat die Lücken zwischen den hüfthohen, losen Gesteinsbrocken ausgefüllt und die Oberflächen mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Entspanntes Absteigen sieht anders aus...

Mein koreanischer Begleiter beim Abstieg.
Ich bin kaum unten im Tal angekommen, als es schon wieder anfängt zu schneien. Ich beeile mich zurück nach Kyanjin Gompa zu kommen, wo ich gerade noch Nina und Per erwische. Nach einer kurzen Umpackpause machen wir uns schnell auf den Rückweg. In Langtang legen wir nochmal einen kurzen Stop ein um uns in der Käsemanufaktur mit Brot und apple pie zu stärken, dann geht es weiter.

Nepali Highwayman.
Doch das Wetter wird immer schlechter. Wolken scheinen nur wenige Meter über uns hinwegzuziehen und bald setzt starker Regen ein. Wir flüchten also in eine winzige nahegelegene Hütte, wo wir einen munteren Neuseeländer antreffen und beschließen nach kurzer Überlegung hier die Nacht zu verbringen. Der Frust vom Morgen sitzt Nina und mir noch tief in den Knochen, aber die gute Laune des Kiwis wirkt ansteckend und spätestens nach ein paar Bier, einem guten Daal Bhaat und einem Snickers-Momo als Nachtisch geht es mir wieder gut. Darüber hinaus setzt nun schlagartig die Müdigkeit ein und unter dem beruhigenden Geprassel des Regens fallen wir in unsere Betten.

Angenehm: Hier unten ist das Wasser wieder flüssig!

Jetzt aber schnell...!!!